Im Gespräch mit Daniel hat er von "seinem" Gasteretal erzählt und mir dann dieses wunder-schöne Bild geschickt. Es hat mich fasziniert und der Wunsch war da, dieses Tal selber kennen zu lernen.
Schritt für Schritt ist mit Jürg zusammen ein Tourenplan entstanden, der das Suchen der Blutroten Fingerwurz (Dactylorhiza cruenta) und Spitzels Knabenkraut (Orchis spitzelii) beinhalten sollte.
Anreise am 14.6.2022 nach Kandersteg mit Kaffeehalt bei Frutigen
Wenn uns schon auf der Autobahn Eiger, Mönch und Jungfrau entgegenlachen kommt Ferienstimmung auf. Bei Frutigen sind wir schon bald am Ziel und Jürg hat eine Pause verdient. Die machen wir bei der Hängebrücke Hostalde. Seit 2006 können sogar die Schulkinder ohne Begleitung die tief unten fliessende Engstlinge überqueren. Die private Brücke führt von der Strasse zu einem gemütlichen Beizli. Das empfehle ich gerne weiter und den Zitronenkeks auch.
Gestärkt geht's weiter Richtung Kandersteg. Wir halten bei der Talstation der etwas älteren Luftseilbahn und entscheiden, unsere kleine Wanderung rund um das Ried beim Bach zu starten. Das Ried kann auf Wegen fast umrundet werden. Es wechseln sich grosse Bestände von Fleischfarbiger Fingerwurz (Dactylorhiza incarnata) mit schönen, gross gewachsenen, Breitblättrigen Fingerwurzen (Dactylorhiza majalis) ab. Wir suchen aber die Blutrote Fingerwurz und finden sie auch, aber erst ganz am Schluss; dort wo der Bauer bereits eine Schneise in die anliegende Futterwiese gemäht hatte. Das hat der Daniel exakt so erwähnt am Telefon. Er hat auch erwähnt, dass einige Exemplare schon am Abblühen sind. Einzelne noch stehen hier in schönster Blüte mit dem typischen Erkennungsmerkmal: Gefleckte Blattoberseite und -unterseite, oft verwischt wie die Bilder zeigen.
Am nächsten Morgen starten wir mit einem Fussmarsch zum Bahnhof. Zwei Plätze im kleinen Bus haben wir vorgängig reserviert. Die Fahrt ist abenteuerlich und der Bus nur (noch) für diese Strecke zugelassen. Hotel Gasterntal Selden: Ende der Postautostrecke; wir steigen aus.
Die weitgehend unberührte Hochebene mit der frei mäandrierenden Kander gehört zum UNESCO- Welterbe. Dem rauschenden Fluss entlang führt der Wanderpfad besonders im Bergfrühling durch ein Blumenmeer, das in allen Farben leuchtet.
Hier, im hintersten Talabschnitt, hoffen wir auf zahlreiche Orchideen – und wir werden nicht enttäuscht! In einem Waldstück vor der Hängebrücke sollen sich im Unterholz das unscheinbare Kleine Zweiblatt (Listera cordata) mit seinen winzigen Blüten und die blattlose Korallenwurz (Corallorhiza trifida) verstecken. Tatsächlich! Sobald sich die Augen an die dunkle Umgebung gewöhnt haben, entdecken wir die kleinen Orchideen in grosser Zahl. Ihre einzelnen Blüten sind so klein, dass Jürg's Kamera eher zufällig scharf fokussiert – ich arbeite mit Stativ, Makro-objektiv und Focus Stacking).
Und das ist erst der Anfang! Im Laufe des Tages erfreuen uns noch viele weitere Orchideen, am Abend haben wir 11 Arten auf der Liste – einzig den Frauenschuh (Cypripedium calceolus) finden wir nicht, er ist heuer bereits früh verblüht.
Auf dem Rückweg begegnet Jürg unverhofft einer gut 70 cm langen, giftigen Aspisviper, die jedoch rasch ins hohe Gras kriecht. Vor lauter Schreck sind fast alle Aufnahmen ziemlich unscharf.
Am Abend ist plötzlich noch Eile geboten, damit die Reception auf dem Camping nicht schon geschlossen hat. Es reicht und wir stellen fest, dass die Seilbahn zum Oeschinensee unmittelbar neben dem Camping ist. Zuerst lassen wir jetzt aber den strengen Tag ausklingen bei einem Glas Wein und einem feinen Znacht.
Unsere nächste Wanderung verläuft hoch über dem Oeschinensee, der ebenfalls zum UNESCO-Welterbe gehört und mit seinem tiefblauen Wasser zu den schönsten Bergseen der Alpen zählt. Eingebettet zwischen hohen Felswänden wird er von den Gletscherbächen der Dreitausender Blüemlisalp, Oeschinenhorn, Fründenhorn und Doldenhorn gespeist.
Unsere Rundtour hoch zum «Heuberg» und weiter zur Alp «Oberbergli» führt mitten durch die blumenreichen Matten des Bergfrühlings und ermöglicht grandiose Ausblicke und mutige Tiefblicke auf den türkisblauen See. Wäre gar der Himmel noch blau, es wäre kitschig! Vereinzelt entdecken wir die Kugelorchis (Traunsteinera globosa), Die meisten sind erst am Aufblühen, gut erkennbar am dreieckigen Blütenstand. Auf einem kleinen Wiesenfleck zähle ich über zwanzig. Auch andere alpine Orchideen sind vertreten und wir treffen sie in schöner Blüte. Die zahlreichen Wanderer nehmen vermutlich nur die rot blühenden wahr. Auf dem Rückweg begegnen wir dem grössten Vorkommen der Paradieslilie (Paradisea liliastrum) das ich je gesehen habe.
Während eines kurzen Regengusses sind wir genau zum richtigen Zeitpunkt im Bergbeizli.
Tags darauf bringt uns der Autozug durch den Lötschberg ins Wallis, wo wir an der alten Simplonstrasse Halt machen. Wir treffen Martin. Er bietet auf seinem privaten Grundstück ein paar schön gepflegte, komfortable Stellplätze für Camper an. Jürg hat vorgängig reserviert. Wir fühlen uns herzlich aufgenommen.
Wir nähern uns – hoffentlich! – bald dem Höhepunkt unserer Reise, richten Rucksäcke und Kameras und fahren mit einer Gondelbahn nach oben auf eine Sonnenterrasse mit prächtiger Aussicht ins Haupttal.
Wir sind allerdings nicht wegen der Aussicht hier, sondern wegen einer besonders seltenen Orchidee: Spitzels Knabenkraut (Orchis spitzelii)!
Die roten und gelben Holunder-Fingerwurz (Dactylorhiza sambucina), die hier in den Bergwiesen zu Hunderten blühen sollten, sind allesamt bereits verblüht; das Frühjahr war zu trocken und zu heiss.
Auch heute ist es heiss, wir schätzen das bisschen Schatten im lockeren Lärchenwald und wandern weiter. Unser Augenmerk gilt dem steilen Berghang. Irgendwo dort oben sollte Spitzels Knabenkraut blühen. Aber wo genau? Vom Weglein aus sind spontan keine Orchideen zu erkennen. Das wäre auch zu bequem! Das Gebiet präsentiert sich unzugänglich felsig und der kurze Rasen ist mit Bärentraube und Wachholder bewachsen.
Jürg erinnert sich: Vor zwei Jahren war er bereits einmal hier, damals mit Andrea, getraute sich aber nicht, den Steilhang zu erklimmen. Andrea war mutiger, fand eine einzelne Pflanze, doch war diese Ende Juni leider bereits verblüht.
Heute ist erst Mitte Juni und wir sind voller Hoffnung. Mit Adleraugen suchen wir jetzt vom Weg aus den Hang ab. Hansjürg entdeckt etwas, vermutlich zwei, drei verblühte männliche Knabenkräuter (Orchis mascula). Nein, das will er jetzt genau wissen und wird bald belohnt:
Orchis spitzelii, eine prächtig blühende Dreiergruppe, leicht verdeckt im Schatten eines Wachholderbusches. Was für ein Glück! Mit grosser Vorsicht fotografieren wir die kostbare Seltenheit.
Die olivgrünen Sepalen und Petalen kontrastieren zur grossen purpurvioletten Lippe. Könnte es sein, dass dieses Chlorophyll der Energiegewinnung mittels Photosynthese dient?
Wir steigen wieder auf den sicheren Weg ab und verzichten gerne darauf, weitere Exemplare zu suchen. Orchis spitzelii wurde hier erst 1988 entdeckt und nach bald 35 Jahren ist dieser schwer zugängliche Fundort immer noch der einzige in der Schweiz.
Nach einer kurzen aber verdienten Mittagsrast packen wir unsere Siebensachen zusammen und wandern über-glücklich zurück.
Für mich ist noch nicht Zeit, den Foto-Tag zu beenden. Ich einige mich mit Jürg, auf der benachbarten Bergflanke alleine noch höher aufzusteigen. Eigentlich mit dem Gedanken, ob nicht doch noch einzelne blühende Holunder-Fingerwurze zu finden sind. Hier ist kein Schatten weit und breit. Dafür blühen Alpenastern und Paradieslilien um die Wette. Und Orchideen? Ganz selten eine Brand-Orchis (Orchis ustulata) und zwei, drei einzelne Männertreu (Nigritella rhellicani). Ich steige noch höher und suche weiter. Es hat weniger, aber immer noch mehrheitlich verblühte D. sambucina. Ein halbes Dutzend gelbe und rote, kurz vor dem Abblühen, geben gerade das Schlussfoto, dann muss ich umkehren. Ich bin müde und die Wasserflasche ist auch leer.
Auch heute wird gekocht. Es schmeckt wunderbar. Das "Spetzli" auch. Jürg ist der gute Koch, ich der gute Helfer. So auch, als die Schiebetür (sprich Fliegengitter) verklemmt, danach himmeltraurig aussieht und rasch repariert werden muss. Schlafen mit Fliegen im Camper geht gar nicht. Ich bin gleicher Meinung.
Zwei abenteuerliche Wanderungen entlang von Walliser Suonen hatte Jürg mir während der Vorbereitung dieser Orchideentage zur Auswahl vorgeschlagen. Ich habe die harmlosere gewählt. Ausgangspunkt ist ein Stollen-eingang oberhalb von Mund (wo der Safran wächst) auf 1500 müM.
Unser Camper steht hoch über dem Rhonetal. Richtung Mattertal fällt der Blick sofort auf die markante, schnee-bedeckte Pyramide des Walliser Weisshorn's und links daneben erspäht man das Matterhorn. Ein Blick auf die Karte zeigt den Startpunkt des Wanderweges entlang der Wyssa ins Gredetschtal. Für die umliegenden Flurnamen sind Fremdsprachenkenntnisse notwendig. Ein paar Meter links vom Stolleneingang entsecke ich ein stattliches Exemplar der Ährigen Glockenblume (Campanula spicata). Die Verbreitungskarte von Info Flora bestätigt, dass sich das Vorkommen in der Schweiz auf das Wallis, Tessin und Misox beschränkt.
Wir lesen die Info-Tafeln zur Entstehung und Zweck dieser Suone und die jährlich anfallenden Unterhaltsarbeiten. Dann marschieren wir los.
Der Bewässerungsbach bestimmt den Weg. Früher gefährliche Passagen wurden durch kleine Tunnels ent-schärft. Gebückte Haltung ist nötig. An exponierten Stellen geben Stahlseile sicheren Halt. An einer ausgesetzten Stelle bewegt ein Wasserrad ein Hammer-Amboss-System. BING - BING - BING: Das helle, metallische Klopfen soll bis hinunter ins Dorf hörbar sein und meldet unaufhörlich, dass die Leitung intakt ist. Jürg inspiziert das; ich getraue mich nicht. Unverhofft tauchen zwischen Weg und Kanal ein paar Gefleckte Knabenkräuter (Dactylorhiza fuchsii) auf. Nach 1.6 km ist das Abenteuer vorbei. Jetzt wird der Blick ins Gredetschtal frei. Eine schöne Türkenbund-Lilie und zwei Brand-Orchis möchten fotografiert werden.
Zurück bietet sich ein Gang durch den 1,1 km langen Stollen an. Er ist gut genug beleuchtet und gross genug, dass ihn auch die Kühe auf dem Weg zur Alp benützen können. In der Stollenmitte wird der hl. Barbara, nach katholischem Glaubensverständnis Schutzpatronin aller Bergleute, gedacht.
Die letzten Camperdays verbingen wir im Lötschental auf der Fafleralp. Wir treffen genug früh auf dem Camping ein und finden einen guten Platz. Kurz vor der Zufahrt meine ich einen beginnenden Alpaufzug erspäht zu haben. Ich erkundige mich und bekomme nur eine wage Auskunft. Also schaue ich nach. Jürg will eher die Ruhe geniessen.
Die typischen, nummerierten Eringerkühe sind grossräumig eingezäunt und die lokalen Bauernfamilien treffen sich zum Freiluft-Raclette. Ab und zu messen zwei Kühe ihre Kräfte, wirbeln Staub auf und machen unter sich die Alpkönigin aus.
Auf der moorigen Hochebene hinter dem Grundsee blühen neben Wollgras lauter Breitblättrige Fingerwurz (Dactylorhiza majalis). Kräftige Blütenfarbe, starker Wuchs, ausgeprägt gefleckte Blattoberseite.
Lauter Majalis? Nein! Eine kleine Hybride trotzt dem Mainstream! Sie ist zwar bloss etwa 12 cm hoch, fällt aber mit ihren weissen Blüten – jede mit zwei roten Punkten versehen – auf. Vermutlich ist es eine Dactylorhiza majalis x fuchsii – ganz bestimmt aber ist sie wunderschön!
Trinkt, o Augen, was die Wimper hält, von dem goldnen Überfluss der (Orchideen)welt!
Das war auch wieder ein toller Tag.
Jürg hat alle Zutaten für einen Grill-Znacht mitgenommen. Und das passt heute einfach genial. Wir walten unseres Amtes und es gelingt. Es ist richtig gemütlich.
Lieber Jürg, jetzt wo ich die ganze Reise noch einmal Revue passieren lasse, habe ich ein Herz voller Dank über allem was wir erlebt haben. Fast alle Orchideen, die auf unserer Wunschliste standen, durften wir in schönster Blüte bestaunen und fotografieren. Du hast die Route detailliert vorbereitet, den Kühlschrank gut gefüllt, und wir sind sicher auf den schönsten Stellplätzen angekommen. Ich war dafür besorgt, dass die Orchideen zur richtigen Zeit am richtigen Ort standen und in Absprache haben wir uns auch genügend Freiheit für Erholung oder eine Extra-Fotopirsch gelassen. Zu guter Letzt hat auch das Wetter wunderbar mitgespielt und zum Gelingen beigetragen.
Danke für deine Freundschaft.
Hansjürg